kultur schwarz weiss
man soll seine kinder ja fördern, wenn es darum geht, sich für kunst und kultur zu begeistern. vor einiger Zeit kam mein jüngster zu mir, die gute alte minolta im arm und fragte mich, ob er sie mal kurz leihen könne. er wolle ein paar künstlerisch wertvolle bilder machen. bei künstlerisch wertvoll fällt mir alles mögliche ein. vor allem, wenn es sich bei dem ausführenden um einen 22 jährigen jungen mann handelt, der im schlepptau eine grinsende freundin führt.
wie schon erwähnt – man soll ja die ersten flugversuche im bereich "kunst" seiner kinder nicht blockieren, also erlaubte ich es ihm. auf die frage, ob ich auch filme hätte, die er benutzen könne, zuckte ich zusammen. natürlich hatte er bereits die im gemüsefach meines kühlschrankes versteckten hochempfindlichen "profi"-schwarz-weiss-filme entdeckt, die ich, wenn überhaupt noch, nur an der ecke beim (photo)dealer unterm ladentisch bekomme (schwieriger als drogen, aber genauso teuer) .
meine vorgetäuschte herzattacke ignorierte er und zog fröhlich pfeifend mit kamera und zwei filmen ab. abends kam er dann und brachte sie mir zurück. seine bitte, doch die beiden filme am nächsten tag mit in den photoladen zu nehmen und auch die bitte, in der woche darauf die entwickelten bilder abzuholen, erfüllte ich ihm gern. dummerweise muss ich sagen, dass ich an dem tag, als die bilder abgeholt werden konnten, leider zeitlich ein wenig unter strom stand, die mittagspause mal wieder zu kurz war und bis zum arbeitsbeginn die wiedereintrittsphase vom kontrollzentrum per handy auf "sieh zu" angekündigt war, schnappte ich mir die photos, zahlte (wer schon einmal handabzüge in schwarz-weiss hat machen lassen, weiss wieviel), ohne sie anzusehen und rannte mit kurzem gruss, verfolgt von den worten meines photohändlers: "ich weiss ja nicht, was sie damit wollen, aber sie sind alle was geworden" aus dem laden.
am abend dann wartete ich voller spannung auf meinen sohn. nachdem ich, neugier, dein name sei weib, die tütchen geöffnet hatte, sah ich, was er mit "künstlerisch wertvoll" gemeint hatte. ich hatte eine diabolische summe geld für 72 gestochen scharfe und technisch hochwertig entwickelte bilder von seinen NASENHAAREN ausgegeben, die in sensationeller weise (und gut ausgeleuchtet) von seinem bruder gemacht worden waren.
sein kommentar dazu war nur : "echt ekelig, wa?"
dem gehört mal gehörig eins auf die nase, allein wegen der haare dort.
sie müssen die brut in schach halten...
oder Blümchen ablichten, das kann jeder (na ja, vielleicht nicht mit einer alten, nichtautomatischen Spiegelreflex-Kamera). So gesehen ist die Idee an sich also bereits ein künstlerischer Vorgang.
Allerdings ließe sich das, Picasso paraphrasierend, auch dahingehend betrachten: Um Nasen- oder sonstige Haare so photographieren zu können, daß tatsächlich Kunst dabei entsteht, benötigen die beiden unter Umständen noch knapp drei Jahrzehnte.* Die Vermarktung, so überhaupt erwünscht, dürfte dann allerdings drei Jahrhunderte in Anspruch nehmen. Es sei denn, der Mensch an sich verliert seine Nasenhaare vorher. Aber dann fielen die Photographien dorthin zurück, wo sie herkommen: unter Dokumentation.
* Vor von Kindern gemalten Bildern stehend, über die ein sogenannter Erwachsener abfällig sprach, meinte der: Um so malen zu können, habe ich dreißig Jahre gebraucht.
«Für mich war immer das Geheimnisvolle, Rätselhafte, das, was sich allen Formen von Erklärung entzog, das wesentliche Phänomen an einem Kunstwerk. Denn wie wir aus unseren Träumen, Ekstasen und sonstigen Räuschen wissen, gibt es sehr viele Gesichter dessen, was was wir Realität nennen.»
sehr geehrter herr stubenzweig,
sie haben hiermit die möglichkeit, als erster, die erstlingswerke eines jungen, aufstrebenden künstlers käuflich zu erwerben!
Mehr. Die wird mir nämlich immer sofort weggenommen von meiner Frau.
Der hat doch noch nie Kunst gekauft. Der läßt sie sich doch immer nur schenken. Und deponiert das dann und weiß nie, was er am Lager hat. Da ist es nur rechtens, wenn man ihm alles sofort wegnimmt und der Allgemeinheit zuführt. Kunst kommt nämlich nicht nur von Kunst, sondern auch von Kucken. Aber – Kucken für alle!